Grenzen von «See and Avoid»
Trotz guten VFR-Bedingungen kollidierten im Sommer 2021 zwei Luftfahrzeuge miteinander. Die Kollision forderte fünf Todesopfer. Beide Flugzeuge waren mit Verkehrswarnsystemen ausgerüstet. Wie konnte es dennoch zu diesem Unfall kommen?
Am Samstag, 12. Juni 2021, startete um 12.15 Uhr auf dem Flugplatz Amlikon ein erfahrener Pilot mit seiner ASW 27-18 (HB-3412) zu einem Streckensegelflug. Rund drei Stunden später startete in Neuchâtel eine vierplätzige Robin DR400 (HB-KLB) zu einem Rundflug nach Samedan und Locarno. An Bord befanden sich zwei Piloten und zwei Passagiere. Um 17.28 Uhr kollidierten die beiden Flugzeuge westlich des Piz Neir auf einer Höhe von 3200 m/M. Kurz zuvor stand der Pilot der HB-KLB noch mit FIC Zürich in Kontakt. Alle fünf Insassen der beiden Flugzeuge wurden beim nachfolgenden Absturz getötet.
HB-KLB wurde nicht vermisst
Das FIC Zürich versuchte um 18 Uhr, telefonisch den Flugplatz Locarno anzurufen, und rief auch zweimal erfolglos die HB-KLB auf. Um 20.05 Uhr kontaktierte der Flugplatzleiter des Flugfelds Amlikon das Rescue Coordination Centre RCC und meldete, dass die HB-3412 vermisst werde. Rund eine Stunde später startete ein Helikopter der Rega, der das Wrack der HB-3412 und den Piloten lokalisierte. Die HB-KLB wurde erst am folgenden Morgen um 09.20 Uhr als vermisst gemeldet. Das verunglückte Flugzeug wurde erst am Nachmittag des 13. Juni von der Besatzung eines Helikopters entdeckt, der vor Ort für die Bergung der ASW-27 im Einsatz war.
Weshalb dauerte es so lange, bis die verunglückte Robin gefunden wurde? Dieser Frage geht die SUST in ihrem Untersuchungsbericht detailliert nach. Da die Besatzung der Robin keinen (nicht obligatorischen) Flugplan aufgegeben hatte, wurde nach dem Auffinden des Wracks der HB-3412 der SAR-Helikopter nicht aktiviert, da sonst niemand vermisst wurde. Allerdings hatten die ebenfalls am Abend alarmierten Experten von Flarm-Technologys Ltd. bereits Hinweise geliefert, dass die HB-3412 aufgrund einer Kollision mit einem anderen Luftfahrtzeug abgestürzt sein könnte. Dank den Flarm-Daten konnte die Rega das abgestürzte Segelflugzeug auch rasch auffinden. Die (von der HB-KLB augestrahlten) ELT-Signale wurden aber von der Rega-Crew der HB-3412 zugeordnet, deren ELT nach dem Absturz jedoch funktionsunfähig war.
Nicht funktionierende Systeme
Beide Flugzeuge verfügten eigentlich über Verkehrswarnsysteme, die jedoch nicht funktionierten. Die HB-KLB war mit einem Kollisionswarnsystem vom Typ Garrecht TRX-2000 ausgestattet. Das System vereinte einen ADS-B/Transponderempfänger mit einem integrierten Flarm-Modul in einem Gerät. Von der technischen Auslegung her konnte dieses Gerät somit grundsätzlich vor Luftfahrzeugen warnen, die entweder mit ADS-B out, Transponder oder Flarm ausgestattet waren.
Das Flarm-Modul enthielt jedoch eine nicht aktualisierte Firmware-Version und war daher nicht funktionstüchtig. Aufgrund des technischen Designs des Kollisionswarngeräts waren als Folge auch die anderen Funktionalitäten des Systems (ADS-B/Transponder) nicht mehr gegeben. Mangels Aussenantennen war das System wenig zuverlässig und der Pilot hatte es vermutlich abgeschaltet.
In der HB-KLB war weiter ein Mode-S-Transponder vom Typ Garmin GTX 328 eingebaut. Die während des Unfallfluges vom FISO registrierten Radarechos wurden von diesem Transponder empfangen. Das Motorflugzeug war mit Zürich Info auf 124.7 in Kontakt, der Segelflieger hatte während des ganzen Fluges keinen Kontakt mit FIS. Die Transponderposition des Motorflugzeugs war auf dem Radar von Zürich Info sichtbar und wurde vom FIS verfolgt.
Vermutlich nicht eingeschaltet
An der HB-3412 war ein Kollisionswarnsystem vom Typ PowerFlarm verbaut, das einen ADS-B/Transponderempfänger und ein Flarm-Modul in einem Gerät vereint. Dieses konnte grundsätzlich vor Luftfahrzeugen warnen, die entweder mit Flarm, ADS-B out oder Mode-S-Transponder ausgestattet waren. Der Mode-S-Transponder vom Typ Air Avionics VT-01, der im vorliegenden Fall auch über eine ADS-B out-Funktionalität verfügte, war ebenfalls im Instrumentenpilz verbaut. Jedoch zeigen die fehlenden Radarechos bzw. ADS-B-Daten während des gesamten Fluges dass der Transponder nicht in Betrieb war. Es ist davon auszugehen, dass der Transponder nicht eingeschaltet war.
Im vorliegenden Fall hätte ein eingeschalteter und funktionstüchtiger Transponder seitens der HB-3412 dazu geführt, dass das Segelflugzeug zumindest für den FISO auf dessen Radardisplay sichtbar gewesen wäre. Dies hätte ihm die Möglichkeit geboten, der HB-KLB einen entsprechenden Verkehrshinweis zu geben.
Für die Piloten der HB-KLB waren infolge des funktionsuntüchtigen bzw. wahrscheinlich nicht eingeschalteten Kollisionswarnsystems die technischen Voraussetzungen nicht gegeben, vor der HB-3412 gewarnt werden zu können.
Lernerkenntnisse
Dieser tragische Unfall unterstreicht einmal mehr, wie wichtig funktionierende Verkehrswarnsysteme mit den gängigen internationalen Standards Mode S plus ADB-B, plus in der Schweiz Flarm, für die Flugsicherheit sind. Wichtig ist, dass diese Systeme nicht nur senden, sondern auch Signale empfangen und dem Piloten entsprechende Verkehrswarnungen geben können.
Die Systeme Mode S und ADS-B bieten ein weiteres Sicherheitsnetz, sobald Piloten mit dem jeweiligen FISO in Kontakt sind und dieser Verkehrshinweise geben kann.
Fliegen ohne Funk und Verkehrswarnsysteme bedeutet ein deutlich erhöhtes Risiko von Unfällen wie sie der im Bericht zitierte Unfall und die Beinahe-Unfall Statistik zeigen.
Auch wenn das Aufgeben eines Flugplans für reine Inlandflüge nicht obligatorisch ist, hätte dessen «Nicht-Schliessen» am Abend beim RCC-Zürich einen Alarm ausgelöst. So wurde die HB-KLB erst am folgenden Morgen offiziell als vermisst gemeldet.
Markus Kirchgeorg/Urs Holderegger
Quelle:
Schlussbericht Nr. 2406 der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST