Wenn das Flugzeug ins Trudeln kommt
Wings Level – der Name ist Programm. In der Flugschule von Hanspeter Leemann und Andrea Salomoni dreht sich alles darum, das Flugzeug aus einem abnormen Flugzustand in die korrekte Fluglage zurückzuholen. Oder erst gar nicht in diese Situation zu kommen.
Interview Evelyn Pesentheiner
Flugsicherheit liegt ihnen am Herzen. 2022 haben Andrea Salomoni und Hanspeter Leemann ihre Flugschule «Wings Level» eröffnet. Das Besondere daran ist, dass nicht Grundschulung, sondern Weiterbildung im Zentrum steht. Mit ihren «Upset Prevention and Recovery-Seminaren» (UPRS) wollen sie Piloten für die Grenzen der Aerodynamik sensibilisieren. Die «AeroRevue» hat sie an ihrem ersten «Defy Gravity Meet-Up» in Raron getroffen und sich mit Andrea Salomoni über Ziele, Motivation und Safety unterhalten. Praxiserfahrung beim «Spin Recovery» in der Cessna C150 Aerobat inklusive.
«AeroRevue»: Herr Salomoni, warum ist es wichtig, dass sich ausgebildete Piloten in Sachen Flugsicherheit weiterbilden?
Andrea Salomoni: Das Ausbildungsprogramm für Piloten basiert auf einer gewissen Gesetzgebung und hat sich in vielen Bereichen seit Jahren kaum geändert. Aber unsere Maschinen und unsere Ausrüstung haben sich stark verändert. Wenn man zum Beispiel an ein modernes Tecnam- oder Bristell-Flugzeug denkt: die haben ein Glascockpit. Oder auch die Navigation. In der Ausbildung sind wir mit der Papier-Karte geflogen, jetzt fliegen wir beispielsweise mit ForeFlight. Viele neue Themen sind nie wirklich eingeführt worden. Darum sind wir der Meinung, dass es wichtig ist für Piloten, sich weiterzubilden und auf dem neusten Stand zu sein.
Safety ist auch bei den wiederkehrenden, obligatorischen Check-Flügen ein Thema. Ist das nicht ausreichend?
Die EASA-Vorschriften für einen Checkflug sind ziemlich «basic». Man ist nie in einer Situation, in der man alle seine Skills nutzen muss. Die Stall-Übungen beschränken sich in der Regel auf «Approach to Stall». Man übt keinen vollständigen Strömungsabriss. Und Navigation bei anspruchsvollem Wetter ist auch nicht Teil eines Checkflugs. Klar, man kann nicht auf schlechtes Wetter warten, um dann einen Check durchzuführen. Der Check muss realistisch sein, aber eben auch möglich. Training kann viel mehr. Der Check bestätigt, dass du gut trainiert bist, aber entscheidend ist das Training. Bei grossen Fluggesellschaften geht der Trend schon länger in diese Richtung
Man kann also sagen, mit Wings Level übt ein Pilot Manöver, die er alleine nicht trainieren kann?
Ja, denn ein verantwortungsvoller Pilot wird nie an die Grenzen gehen, die man alleine niemals überschreiten sollte. Die Instruktoren von Wings Level sind hier, um Piloten zu helfen, diese aerodynamischen und menschlichen Limits zu erfliegen. Wir zeigen, als eine Erfahrung, wohin sich eine Situation entwickeln kann, wenn etwas schiefläuft, und wie man sie retablieren, also die normale Fluglage wieder herstellen kann. Aber das Wichtigste ist zu wissen, wie man vorbeugt. Prävention macht neunzig Prozent unseres Trainings aus. «Recovery» steht immer an letzter Stelle. Wir wollen, dass unsere Schüler fähig sind, ein Problem vorauszusehen und es zu lösen, bevor es zum Äussersten kommt.
Und das hat Hanspeter Leemann und Sie dazu motiviert, eine Flugschule mit Fokus Weiterbildung zu gründen?
Hampi und ich sind beide als Fluglehrer anderer grosser Flugschulen aktiv. Wir sehen viele zukünftige Airline-Piloten. Alle haben die gleichen Defizite in ihren Skills. Es ist nicht fehlendes Talent, es ist ein Mangel an Training. Und wir haben gesehen, dass es beispielsweise in den USA eine Flugschule gibt, die sich auf dieses Thema spezialisiert hat. Grosse Fluggesellschaften und sogar Militärpiloten wenden sich an diese Schule. Die Erkenntnis, dass der Bedarf auch in der Schweiz besteht, war eine grosse Motivation für uns.
Das Training, das Wings Level für zukünftige Berufspiloten anbietet, führt zu einem offiziellen Diplom, korrekt?
Seit wenigen Jahren gibt die Gesetzgebung vor, dass jeder Multi-Crew-Pilot vor seinem ersten «Type Rating» ein sogenanntes «Advanced Upset Prevention and Recovery Training» (AUPRT) braucht. Im Herbst 2024 werden wir als ATO zertifiziert. Dann kann man dieses Zertifikat offiziell bei uns machen. Wir sind spezialisiert auf «Upset Recovery Training» für zukünftige Berufspiloten, aber auch, und das ist uns sehr wichtig, für Privatpiloten. Denn es spielt keine Rolle, ob ich einen Airbus A320 oder einen Piper PA-28 fliege. Wir sind alle am gleichen Himmel unterwegs und müssen sicher sein.
Dann bekommen Privatpiloten nach dem Training bei Ihnen auch dieses Zertifikat?
Nein, mit Privatpiloten machen wir ein «Upset Recovery-Seminar». Das ist etwas, was wir von Wings Level kreiert haben. Grundsätzlich hat es eine ähnliche Struktur wie ein «Advanced Upset Recovery». Aber weil der Privatpilot dieses Zertifikat gesetzlich nicht braucht, geben wir ihm etwas, das auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Beispiel: Wenn Sie in den Bergen fliegen, bearbeiten wir Themen, die beim Gebirgsflug von Bedeutung sind.
Wodurch zeichnet sich ein «Upset Recovery- Seminar» aus?
Das Interessante ist, dass wir einen Unfall rekapitulieren, der wirklich passiert ist. Und dann zeigen wir, wie die Geschichte anders hätte enden können, wenn der Pilot sein Flugzeug korrekt abgefangen hätte. Die Seminare sind in verschiedene Schwierigkeitsgrade unterteilt und decken viel mehr ab als ein «Advanced Upset Recovery», wenn ein Pilot alle drei Levels absolviert.
Zurück zu den Bedürfnissen. Welche Anliegen haben die Privatpiloten hauptsächlich?
Neunzig Prozent der Piloten, die zu uns kommen, wollen, dass wir ihnen etwas zeigen, was ihre Fluglehrer ihnen nie gezeigt haben. Zum Beispiel, wie man einen «Full Stall», also einen vollständigen Strömungsabriss, beendet. Oder einen asymmetrischen Strömungsabriss. Das ist das, wonach unsere Kunden vor allem verlangen. Und dann natürlich «Spin Recovery», das heisst das Abfangen eines trudelnden Flugzeuges, weil die meisten nie einen echten Spin, eine echte Vrille gesehen haben.
Was gefällt Ihnen an der Safety-Arbeit mit Piloten in der Weiterbildung?
Für mich ist es sehr interessant zu sehen, wie die Leute ins Flugzeug einsteigen und mit welchem Gesicht sie nach der Übung wieder aussteigen. Ich hatte einen sehr talentierten Piloten, der wie erstarrt ist, als das Flugzeug ins Trudeln überging. Er konnte nichts tun und das Flugzeug war dabei, vom Himmel zu fallen. Ich habe übernommen und als wir wieder in normaler Fluglage waren, sagte er, das sei die unglaublichste Erfahrung seines Pilotenlebens gewesen. Ich sagte: «Okay, wir machen es nochmal, diesmal zusammen.» Als wir aus dem Flugzeug stiegen, sagte ich ihm, dass ich gar nicht helfen musste. Und dann sah ich in seinem Gesicht dieses «Okay, jetzt weiss ich, was zu tun ist.»
Wings Level operiert von verschiedenen Flugplätzen aus. Das ist eher ungewöhnlich für eine Flugschule. Wie kommt das Konzept an?
Wir gehen dahin, wo es ein Bedürfnis gibt. Zum Beispiel haben wir eine Partnerschaft mit Neuchâtel und mit Raron. Die Verantwortlichen sind super offen. Wir sind hier um zu helfen, nicht um andere Flugschulen zu konkurrenzieren. Die Idee ist, in Raron jedes Jahr ein «Defy Gravity Meet-Up» durchzuführen. Die «Upset Recovery-Seminare» machen wir dort, wo ein Bedarf besteht. Wenn eine Flugschule uns ruft, gehen wir mit unserer Maschine dorthin.
Sollten Piloten vor Ort nicht auf ihrem eigenen oder ihrem Charter-Flugzeug trainiert werden?
Nein. Das Problem ist, dass unser Training wirklich auf «Upset Recovery» beruht. Also muss das Flugzeug zertifiziert sein für diese Manöver. Wenn jemand mit einer Maschine käme, die nicht dafür zugelassen ist, wäre das nicht nur illegal, sondern vor allem gefährlich. Wir arbeiten mit unseren eigenen Flugzeugen, weil das nicht die Art Übungen ist, die die Piloten hinterher selber trainieren sollen. Es geht nicht darum, dass sie hingehen und einen Spin fliegen, nachdem sie bei uns einen Spin geflogen sind. Das wäre sehr gefährlich. Sie sollen in kontrolliertem Rahmen einen Ausnahmezustand erleben.
Warum «Upset Recovery-Seminare» und nicht eine Kunstflugausbildung?
«Upset Recovery» und Kunstflug sind zwei verschiedene Dinge. Wir bieten auch Kunstflugausbildungen an. Aber Kunstflugfiguren sind gewollte Manöver. Da trainieren wir fliegerische Präzision. Ich will einen Looping machen, ich will einen Spin machen. Ein Spin, den ich bewusst einleite, ist keine Upset-Situation. Das Problem ist: Was passiert mit mir, wenn ich nicht weiss, wie ein Spin aussieht und ich gerate unbeabsichtigt hinein? Wenn ich Kunstflug mache, weiss ich, was ich tue. Ich kann Figuren falsch fliegen, dann sind sie nicht schön anzusehen, aber die Bewegung erfolgt beabsichtigt. «Upset» kommt unerwartet.
Was wollen Sie Piloten unbedingt mit auf den Weg geben?
Fliegen ist cool und macht viel Spass. Aber es gibt Risiken und es ist wichtig, dass Piloten verstehen, wie ein Flugzeug fliegt, Stichwort Aerodynamik. Und das Allerwichtigste ist die Erfahrung. Man kann vieles in Büchern lesen, aber real sehen die Dinge manchmal ganz anders aus. Wenn wir verstanden haben, wo die Grenzen sind, sind wir sicherer unterwegs.