Wenn alles nur noch schiefläuft
Zwei Tage vor Weihnachten 2020 endet in Deutschland der Flug eines jungen und noch unerfahrenen Piloten tragisch. Der Unfallbericht des deutschen BFU zeigt, was alles schieflaufen kann, wenn man als Pilot blind auf ein Ziel fixiert ist.
Zusammenfassung: Urs Holderegger
Am 23. Dezember 2020 um 16.59 Uhr endet der Flug einer Cessna 172 in einem Waldstück in der Nähe der Ortschaft Neudorf, nahe bei der Autobahn A9. Ein Zeuge gab an, er habe kurz zuvor in der Nähe von Pegnitz, wo sich auch ein kleiner Flugplatz befindet, ein tieffliegendes Flugzeug beobachtet. Die Wolkenuntergrenze schätzte er auf 600 bis 800 ft über Grund, zudem war es schon ziemlich dunkel. Um 17 Uhr empfing die SAR-Leitstelle das ELT-Signal des Flugzeugs. Es dauerte aber noch bis 21.55 Uhr, bis Rettungskräfte das Wrack in unwegsamem Gelände fanden. Der 28-jährige Pilot hatte den Absturz nicht überlebt.
Keine technischen Mängel
Beim Unglücksflugzeug handelte es sich um eine in Deutschland zugelassene Cessna F 172 M mit einer Gesamtflugzeit von 6900 Stunden. Am Flugzeug konnten keine technischen Mängel aufgefunden werden. Beim Unfall waren noch rund 25 Liter Treibstoff vorhanden; eine unbekannte Menge war ausgelaufen. Mit der nachträglich eruierten Beladung befanden sich Gewicht und Schwerpunkt im zulässigen Bereich.
Der Pilot hatte rund zwei Jahre vor dem Unfall seine in Österreich ausgestellte PPL erworben und wies eine Gesamtflugerfahrung inklusive Ausbildung von 68 Stunden auf. Als verantwortlicher Flugzeugführer wies er knapp 31 Stunden aus, davon 16 Stunden auf der Cessna 172. In den letzten 90 Tagen vor dem Unfall absolvierte er zweieinhalb Stunden auf dem Unfallmuster. Aufgrund einer Farbsehschwäche war das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis mit der Auflage VCL (valid by day only) versehen.
Tragödie zeichnet sich schon früh ab
Als der Pilot knapp eine Stunde vorher um 16.04 Uhr auf dem Flugplatz Landshut mit der Cessna zu seinem letzten Flug abhob, zeichnete sich die Tragödie bereits ab. Der Mann hatte die Cessna ab dem 22. Dezember 2020 für zehn Tage über ein Online-Buchungsportal gechartert. Geplant war ein Überführungsflug von Landshut nach Bayreuth. Von dort aus wollte er über die Feiertage weitere Flüge durchführen. Am Unfalltag rief der Pilot gegen 15 Uhr den Flugplatz Bayreuth an und realisierte erst dann, dass der Flugplatz ab dem
24. Dezember bis Anfang Januar geschlossen war.
Als Alternative wählte der 28-Jährige nun den Flugplatz Kulmbach aus. Dort nahm ein Angestellter einer ansässigen Firma das Telefon ab und riet ihm aufgrund der tiefhängenden Wolken von einer Landung in Kulmbach ab. Ein weiteres Telefon zur Flugplatzleitung erfolgte offenbar nicht mehr. Der Pilot informierte gemäss Polizei aber seine Lebensgefährtin, dass sie ihn in Kulmbach abholen sollte. Am (ihm unbekannten) Startflugplatz Landshut musste der Pilot zuerst die Cessna suchen. Laut Zeugen rollte der Pilot ohne Aussencheck nach einem kurzen Warmlaufen los und startete kurz vor Sonnenuntergang auf der falschen Piste, was auf eine Stresssituation hindeutet.
Kein kontrollierter Landeversuch
Die von dem Flugsicherungsunternehmen aufgezeichneten Radar- und die Flugwegdaten des im Flugzeug eingebauten Flarm-Geräts TRX-2000 zeigten einen Flugverlauf von Landshut in nordnordwestliche Richtung. Bis ca. 16.50 Uhr erfolgte der rekonstruierte Flugweg relativ geradlinig. Etwa zu dieser Zeit setzte in der Region Regen ein, was die bereits schon äusserst marginalen Sichtbedingungen weiter verschlechterte. Offenbar versuchte der Pilot, den Flugplatz Pregnitz anzufliegen, was ihm aber nicht gelang. Nach mehreren Richtungswechseln flog er entlang der Autobahn A9, wo er im Bereich des Kulmer Berges eine Linkskurve mit Sinkflug einleitete. Beim Wrack waren die Landeklappen eingefahren, was nicht auf einen kontrollierten Landeversuch hindeutete.
Landung hätte in der Nacht stattgefunden
Bereits beim Start war eigentlich klar, dass die Landung auf dem Flugplatz Kulmbach bei Nacht stattgefunden hätte. Es gab keinen Hinweis auf eine durch den Piloten in Anspruch genommene meteorologische Flugwetterberatung. Der Flug fand in der Endphase unter Sichteinschränkungen durch die einsetzende Dunkelheit und den Niederschlag statt. Es ist laut BFU-Untersuchungsbericht durchaus wahrscheinlich, dass im Bereich der Unfallstelle am Berg Kleiner Kulm die Bewölkung auflag und zu einem Sichtverlust führte.
Was führte zu diesem Unfall? Der Pilot führte den Flug unter erheblicher Zeitnot und Erfolgsdruck durch. Am Zielflugplatz Kulmbach wurde er von seiner Lebensgefährtin erwartet. Sein ursprüngliches Vorhaben, bereits am Vortag zu fliegen, konnte er wegen schlechter Wetterbedingungen nicht durchführen. Das eigentliche Ziel Bayreuth konnte er über die anstehenden Feiertage nicht nutzen. Somit stand ihm nur der Flugplatz Kulmbach zur Verfügung. Die mangelhafte Flugvorbereitung und der Flugverlauf sind ein deutliches Indiz für «The-Get-Home-Itis»-Syndroms.
Der Wille, den Zielflugplatz trotz der einsetzenden Nacht und schlechten Wetterbedingungen anzufliegen, haben den Piloten in eine alternativlose Situation gebracht, aus der er nicht mehr herauskam. Die englische Bezeichnung steht für eine nicht nur unter Piloten verbreitete Tendenz, welche die «Sicht trübt» und das Urteilsvermögen beeinträchtigt, da sie eine Fixierung auf das ursprüngliche Ziel oder den ursprünglichen Bestimmungsort in Verbindung mit einer völligen Missachtung jeglicher Handlungsalternativen bewirkt.
Zusätzliche «human factors»
Zusätzlich zu diesem Syndrom der falschen oder mangelnden Entscheidungsfindung kommen weitere «human factors» hinzu. Bei Flügen in der Nacht kann es schnell zu einer räumlichen Desorientierung kommen. Sogenannte Scheindrehungen und Illusionen des Steigens oder Sinkens sind die häufigsten Formen falscher Empfindungen. Diese können auftreten, wenn kein klarer Horizont sichtbar ist und ganz auf der Basis von externen visuellen Referenzen geflogen wird. Auf staysafe.aero publizierte das BAZL zu diesem Thema 2018 den Bericht «Was bei Nachtflügen zu beachten ist».
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung